Puh, geschafft und doch gar nicht so schlimm, wie einst erwartet. Wovon spreche ich nur? Ja, richtig, ich rede vom Theaterbesuch ins Ernst Deutsch Theater, um mir das historische Stück „Der Diener zweier Herren“, geschrieben von Carlo Goldini im Jahre 1746, anzusehen. Diesmal allerdings mit einer kleinen Besonderheit: das Theaterstück wurde vom Deutschen Gehörlosen-Theater e.V. inszeniert und daher wurde der Klassiker in Deutscher Gebärdensprache gezeigt. Parallel liefen im Hintergrund Übertitel für Hörende und zusätzlich sorgte ein Schlagzeug für die musikalische Untermalung des Stücks.
Die Jugendgruppe im BdS e.V. besorgte sich frühzeitig Karten für die vierte Reihe und hier saß ich nun völlig abgehetzt und müde von der Arbeit. In meinem Kopf machte sich langsam auch meine Skepsis breit: „Bist du wirklich richtig hier? Wirst Du alles verstehen?“ Vor mir und hinter mir sah ich fliegende Hände und vom Glück berieselte Gesichter. Ich fühlte mich ein wenig wie Harry Potter, der zum ersten Mal die Welt der Magier entdeckt, in der Winkelgasse herumspaziert und alles klammheimlich und still beobachtet: „Ist das wirklich meine Welt?“
Ich gebe zu, dass ich zunächst etwas verunsichert war, ob ich wirklich ins Theater mitkommen soll. Ich bin der Deutschen Gebärdensprache nicht mächtig genug und es ist nicht meine Muttersprache. Oft verstehe ich nur ein Bruchteil von dem, was gebärdet wird und hatte die Befürchtung, dass ich auch hier nicht viel verstehen werde. Zu meiner Überraschung wurde mir das Gegenteil bewiesen: die Gebärden waren langsam und deutlich. Dank der Nutzung von aussagekräftiger Mimik und Gestik ergab das Stück ein klares Puzzlebild – ein wahrer Augenschmaus für alle. Nach rund einer Stunde gab es eine Pause und sofort sind sich alle einig: “Das Stück ist einfach geil!” und ziemlich atypisch für die Deaf Szene. Oftmals handeln es sich beim Gehörlosentheater um Stücke, die direkt Bezug auf den Umgang von Hörenden gegenüber Gehörlose nehmen. Meist sind es brisante Themen, wie beispielsweise die “Orale Erziehung” oder “Gebärdensprache vs. Cochlea-Implantat”.
Gegen 21.50 Uhr war die Aufführung vorbei und wie es so typisch in unserer Kommunikationsgemeinschaft ist, gibt es eine Deaf Standard Time. Was heißt das nun? Wo auch immer Gehörlose aufeinandertreffen und man sagt, dass man jetzt nach Hause geht, geht man nicht nach Hause. Man bleibt mindestens noch eine Stunde länger als sonst stehen und unterhält sich rege mit seinen Freunden und Bekannten. Ein Opfer dieser Deaf Standard Time wurde ich auch: erst gegen 23 Uhr bestieg ich die U-Bahn und wenige Minuten davor unterhielten wir uns noch mit den Schauspielern des Theaterstücks. Sie berichteten uns, dass sie für das ganze Stück insgesamt nur drei Wochen probten. Ich war baff. Und glücklich, die obige Frage zu beantworten: ja, es ist ein Teil von meiner Welt! 🙂
– Nele von der Jugendgruppe im BdS e.V.
Abschließend noch ein paar Worte von Ines Helke, unserer ersten Jugendleiterin im BdS e.V.:
Ein unvergesslicher Abend und das mit so vielen Menschen mit einer Hörbehinderung -und/oder mit einer Kommunikationsbehinderung, welche sich den Weg zum Ernst Deutsch Theater gemacht hatten. Es war wieder ein Erlebnis der kulturellen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und genau dies muss in der Freien und Hansestadt Hamburg fortgesetzt werden.
Wir, von der Kinder- und Jugendgruppe im BdS e.V., gehen regelmäßig ins Ernst Deutsch Theater. Entweder sind es die Kindergartenkinder bis Schulkinder oder die Jugendlichen bis junge Erwachsene bis zum 27. Lebensjahr.
Wenn gehörlose Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Theaterbühne sind, ist es wiederum ein ganz besonderes Erlebnis. Wir würden uns sehr freuen, wenn die Behörde für Kultur und für Medien der Freien und Hansestadt Hamburg das langfristig fortsetzt.
An dieser Stelle möchten wir uns vom Jugendvorstand im BdS e.V. bei Frau Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Ernst Deutsch Theaters bedanken, dass sie es für unsere Zielgruppe ermöglicht, Theaterkultur mit barrierefreier Kommunikation zu erleben und zu erfahren, auch wenn es nicht immer einfach ist allen Menschen mit Behinderung gerecht zu werden.
In diesem Sinne weiter so, denn Kultur ist Bildung und das möchten auch wir!